Die Zahl der Zwangsverheiratung von Kindern und Jugendlichen nehmen weltweit zu. Jedes Jahr werden 12 Millionen Mädchen verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind. Das sind 22 Mädchen pro Minute. Auch etwa 115 Millionen Jungen weltweit sind von Frühverheiratung betroffen – das ist ein Junge pro Schulklasse.
Nach Angaben von UNICEF wurden 650 Millionen der heute lebenden Frauen und Mädchen als Kinder zwangsverheiratet. Und es werden mehr: UN-Organisationen sagen für die nächsten 10 Jahre einen sprunghaften Anstieg der Frühverheiratungen voraus. 10 Millionen Mädchen sind akut gefährdet – überall auf der Welt. Besonders gefährdet sind jedoch Mädchen in Subsahara Afrika.
All diese Zahlen sind Schätzungen. Die Dunkelziffer ist hoch.
Was ist Zwangsheirat bzw. Frühverheiratung?
Von Zwangsheirat spricht man, wenn eine Person gegen ihren Willen mit jemandem verheiratet wird. Frühverheiratung bezeichnet die Eheschließung einer sehr jungen bzw. minderjährigen Person.
Auch wenn in den meisten Ländern aktuell eine Eheschließung vor 16 oder 18 Jahren illegal ist, werden weltweit dennoch viele Mädchen und Jungen verheiratet, bevor sie die Volljährigkeit erreicht haben. Allerdings kann das Alter für Ehemündigkeit je nach Länderkontext stark variieren. In manchen Staaten der USA können junge Menschen mit Zustimmung der Eltern oder eines Gerichtes beispielsweise bereits ab 14 Jahren heiraten.
Warum sind „Kinderehe“ oder „Kinderheirat“ nicht die richtigen Begriffe?
Häufig liest man in diesem Zusammenhang von „Kinderehe“ und „Kinderheirat“. Korrekt sind die Begriffe nicht, denn sie verschleiern die Komplexität des Phänomens und, dass es sich – insbesondere im Falle einer Zwangsverheiratung – in den seltensten Fällen um eine Beziehung auf Augenhöhe handelt und beide Partner freiwillig in die Ehe einwilligen.
In manchen Länderkontexten werden Kinder bereits nach ihrer Geburt einem künftigen Partner oder Partnerin versprochen, um familiärer Verbindungen zu stärken. In anderen kulturellen Kontexten ist es die gesellschaftliche Norm, Mädchen bereits in sehr jungem Alter – oder spätestens in der Pubertät – mit einem deutlich älteren Mann zu verheiraten. Dieser soll sie schützen und finanziell versorgen. In manchen Kulturen wird von Jungen erwartet, durch eine frühe Heirat Verantwortung zu übernehmen und zum familiären Lebenseinkommen beizutragen.
Wo gibt es Zwangsheirat?
Zwangsheirat bzw. Frühverheiratung kommt auf allen Kontinenten, in allen Kulturen, in allen Religionen vor. Besonders häufig werden junge Menschen in Subsahara-Afrika, in Mittel- und Südamerika, Osteuropa, im arabischen Raum und Zentral- und Südasien (wie Afghanistan, Pakistan, Indien, Bangladesch) verheiratet.
Warum gibt es Zwangsverheiratung? Was sind die Ursachen von Zwangsheirat?
Die Gründe für eine Zwangsheirat von Minderjährigen sind vielschichtig. Die häufigsten Ursachen sind:
Armut ist ein großer Grund für Eltern, ihre Kinder früh zu verheiraten. In manchen Ländern muss für die Braut eine Mitgift bezahlt werden, welche im Falle einer Verheiratung der Tochter die finanzielle Not für die Familie lindern kann. Durch eine Heirat gibt es zudem eine Person weniger im Haushalt zu ernähren. Oftmals sehen Eltern keine andere Möglichkeit und erachten die Verheiratung mit einem Mann als den besten Weg, die Versorgung ihrer Töchter zu gewährleisten.
Fast zwei Drittel der Mädchen in Ländern, die als fragil gelten, wie Niger, Bangladesch und der Zentralafrikanischen Republik, werden vor ihrem 18 Geburtstag verheiratet. Im Südsudan, einem Land, in dem seit über einem Jahrzehnt Bürgerkrieg und gewaltsame Konflikte herrschen, hat World Vision festgestellt, dass die meisten Frauen schon als Teenager verheiratet wurden.
Dort, wo Kriege, Katastrophen und Krisen die Menschen in Armut, Flucht und Unsicherheit treiben, werden viele Mädchen zu ihrem vermeintlichen Schutz sehr früh verheiratet – dies konnte insbesondere auch während der Covid-19-Pandemie beobachtet werden. Durch die Eheschließung mit einem Mann erhalten die Mädchen Schutz und sind dadurch weniger von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung gefährdet. Aus der finanziellen Not heraus oder in fragilen Kontexten entscheiden sich Mädchen auch oftmals selbst für eine Frühverheiratung, um beschützt und versorgt zu werden.
In einigen Kulturen ist die Verheiratung von Mädchen und Jungen im Teenageralter traditionell stark verwurzelt. Der gesellschaftliche Druck, in jungem Alter zu heiraten und eine Familie zu gründen, ist enorm. Die Angst vor Ausgrenzung und Stigmatisierung, verbunden mit fehlenden alternativen Zukunftsperspektiven, begünstigt eine frühe Eheschließung. Oftmals heiraten junge Menschen auch freiwillig, da ihnen von Kindesbeinen an die Heirat und Familiengründung als Lebensziel beigebracht wird und es vor allem in ländlichen Gegenden an beruflichen Chancen mangelt.
Auch werden offizielle Heiratsgesetze in vielen Länderkontexten nicht immer durchgesetzt. Manchmal spiegelt die Rechtsnorm nicht die religiöse, kulturelle oder soziale Norm einer Gesellschaft wider. Das gibt Raum für Interpretation.
Kinder werden zum Teil bereits bei ihrer Geburt von ihren Eltern einer anderen Familie versprochen, um familiäre Bände aufrechtzuerhalten, die Familienehre zu schützen, langjährigen Verpflichtungen zwischen Familien nachzukommen oder Grundbesitz in der Familie zu erhalten.
In vielen Ländern werden auch homosexuelle Jungen gegen ihren Willen mit einem Mädchen oder einer Frau zwangsverheiratet, um das traditionelle Bild nach außen zu wahren.
Mangelnde Aufklärung über Sexualität, Verhütung und die Folgen früher Schwangerschaften hat fatale Folgen. Um die „Schande“ einer unehelichen Schwangerschaft zu vermeiden, wird ein Mädchen oft schnell verheiratet.
Insbesondere in ländlichen Regionen, wo Kinder kaum Zugang zu Bildung haben oder die Schulbildung nur sehr schlecht ist, es kaum berufliche Chancen gibt und viele junge Menschen keine alternativen Zukunftsperspektiven haben, sind eine frühe Heirat und Familiengründung die Norm.
Auch Eltern mit keiner oder wenig Schulbildung fehlt oft, mangels Aufklärung und Sensibilisierung, das Bewusstsein dafür, dass eine Zwangsverheiratung seelische und körperliche Risiken birgt und eine Kinderrechtsverletzung darstellt.
In manchen Ländern mit patriarchalischen Strukturen, z. B. Afghanistan, werden Mädchen in ihrem Bildungszugang diskriminiert und dürfen keine höhere Schulbildung erhalten. Oft bleibt den Mädchen dann keine andere Möglichkeit, als zu heiraten, da sie auch kein unabhängiges Lebenseinkommen bestreiten können. In Ihre Bildung zu investieren, wird als nicht notwendig erachtet, da Mädchen und Frauen ohnehin die traditionelle Rolle zukommt, sich um das Heim und die Familie zu kümmern.
Jedes Jahr werden schätzungsweise 12 Millionen Mädchen vor ihrem 18.Geburtstag verheiratet - meist aufgrund von Armut, zum Schutz auf der Flucht oder aus kulturellen Gründen. Daher setzen wir uns für Geschlechtergerechtigkeit ein und stärken Mädchen, sodass sie zur Schule gehen können, eine Zukunftsperspektive erhalten, ihre Rechte kennen und ein selbstbestimmtes Leben führen können.
Was sind die Folgen & Auswirkungen von Zwangsheirat?
Wenn Mädchen zwangsverheiratet werden und in das Zuhause ihres Ehemanns ziehen, fern von ihren Familien und der Gemeinschaft, die sie kennen, sind sie sozial isoliert. Daher sind sie verstärkt der Gefahr von physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt, Missbrauch, von sexuell übertragbaren Krankheiten und frühen Schwangerschaften ausgesetzt.
Insbesondere in Zwangsehen mit großem Altersunterschied kann es vorkommen, dass die zwangsverheirateten Mädchen zu Hause herumkommandiert oder geschlagen werden, um sie zu maßregeln und Kontrolle über sie auszuüben.
Ländern bekommt jede vierte junge Frau – rund 12 Millionen – das erste Kind vor ihrem 18. Geburtstag. Frühe Schwangerschaften können gravierende Folgen für die Gesundheit der Mädchen und für ihre gesamte weitere Entwicklung haben.
Frühe Schwangerschaften bergen für Mädchen kurzfristige und langfristige gesundheitliche Risiken – auch für ihre Kinder. Da das Becken in der Pubertät meist noch nicht breit genug für die Geburt eines Kindes ist, kommt es während der Geburt häufig zu Komplikationen: Es können starke Blutungen auftreten, die Geburt kann sehr lange dauern. Womöglich ist das Neugeborene schlecht mit Nährstoffen versorgt und trägt körperliche Schäden davon. Häufig sind die Neugeborenen von sehr jungen Müttern stark untergewichtig und benötigen nach der Geburt weitere medizinische Versorgung.
Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt sind die häufigste Todesursache bei heranwachsenden Mädchen.
Es ist daher unerlässlich, Aufklärungsarbeit zu leisten und Mädchen und Frauen über ihre Rechte und ihren Körper zu informieren.
Meist gehen Mädchen, nachdem sie verheiratet wurden, nicht mehr zur Schule, sondern müssen sich um den Haushalt und die Familie kümmern. Auch frühverheirate Jungen verlieren den Anschluss zur Schule, da von ihnen erwartet wird, dass sie als Fürsorger den Lebensunterhalt verdienen.
Durch fehlende Grund- und Ausbildung sowie frühe Familiengründung werden junge Menschen in ihrem Zugang zu besseren Arbeitsplätzen beeinträchtigt. Das erschwert es oder macht es ihnen unmöglich, die Spirale der Armut zu durchbrechen. Wenn Eltern selbst früh verheiratet wurden und keine oder nur geringe Schulbildung hatten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass auch ihre Kinder früh verheiratet werden und nicht weiter die Schule besuchen.
Mädchen übernehmen viel zu früh die Rolle einer erwachsenen Frau und einer Mutter. Auch für Jungen bedeutet eine „Kinderehe" das plötzliche Ende der Kindheit und eine Verletzung ihrer Kinderrechte. Sie werden damit früh in die Erwachsenenrolle eines Familienversorgers gedrängt und stehen unter Druck.
Deshalb wird die Abschaffung von Zwangsverheiratung in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) ausdrücklich als Ziel genannt und kann dazu beitragen, auch viele andere globale Ziele zu erreichen. Die Abschaffung von „Kinderehen“ würde zur Linderung von Armut beitragen (SDG 1), mehr Mädchen den Zugang zu hochwertiger Bildung ermöglichen (SDG 4), Kinder vor Gewalt schützen (SDG 16) und zur Gesundheit und zum Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen beitragen (SDG 3).
Was tut World Vision gegen Zwangs- und Frühverheiratung?
Persönliche Geschichten zu Zwangsheirat von Mädchen
Christinas Geschichte aus 📍Malawi:
Christina ist nun wieder an die Schule zurückgekehrt. Als sie mit 17 ungewollt schwanger wurde, hat sie ihre Schwangerschaft noch einige Monate vor ihrer Familie geheim halten können. Als sie aber nicht mehr zu übersehen war, haben sie die Umstände gezwungen, mit dem Vater ihres Kindes zusammenzuziehen.
Als dieser sie nach dem zweiten gemeinsamen Kind verließ, musste sich Christina selbst durchschlagen. Durch eine Schulung von World Vision hat sie einen eigenen kleinen Garten, der sich und ihre Kinder mit Nahrung versorgt. Außerdem hat sie ihre Schulbildung wieder aufgenommen.
Abigaels Geschichte aus 📍Kenia:
Abigael besucht derzeit eine Schule in Kenia. Sie ist von zu Hause weggelaufen, um FGM und Kinderheirat zu entkommen. „Ich habe hier mehr als nur Bildung gefunden“, sagt sie. „Ich fühle mich endlich einmal sicher.“
Abigaels Leidenschaft für das Lernen zeigt sich in ihren Lieblingsfächern: Biologie und Mathematik.„Ich liebe diese beiden Fächer“, erklärt sie, "weil ich in Zukunft Krankenschwester oder Ärztin werden möchte, um meiner Gemeinschaft, vor allem Mädchen und Frauen, zu helfen."
In der Schule findet Abigael Trost in der Gesellschaft ihrer Freunde und lässt sich von ihren Lehrern inspirieren, die zu ihren Mentoren geworden sind.