13.08.2025

Ich bin hier, weil ich noch an Haiti glaube

Ein bewegender Bericht aus einem Land im Ausnahmezustand

Autor: Guy Faubert Vital-Herne

Während die Welt Haiti vergisst, lebt Guy Faubert Vital-Herne jeden Tag an der Frontlinie der Hoffnung. Ein Bericht, der erschüttert – und aufrüttelt. 

Port-au-Prince war einmal meine Heimat. Das ist es immer noch – aber auf ganz andere Weise.

Ich lebe und arbeite in Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti – einem Ort, der einst für seine Farben, seine Musik und seine tiefe spirituelle Widerstandskraft bekannt war. Heute ist er für etwas anderes bekannt: Banden, Entführungen und Angst. Das Land ist in eine der schlimmsten humanitären und sicherheitspolitischen Krisen seiner Geschichte gestürzt. Straßen sind nicht mehr nur Straßen. Sie sind Frontlinien. Stadtviertel sind nicht einfach nur Gemeinden – sie sind Kampfzonen.


Ich arbeite seit 15 Jahren für World Vision und arbeite mit Kirchen zusammen, um schutzbedürftige Kinder zu schützen, auf Notfälle zu reagieren und Gemeinden zu stärken. Aber in Haiti fühlt sich diese Arbeit heute an, als würde man durch Feuer gehen. Die Straßen sind blockiert. Bewaffnete Banden haben ganze Stadtviertel unter ihre Kontrolle gebracht. Jede Bewegung, jeder Besuch, jedes Treffen ist eine Entscheidung, die mit Risiken verbunden ist.
 

Donas Geschichte Bild
Flucht aus Gewalt: Elimène (43) musste mit ihren zwei Töchtern aus Zentral-Haiti vor Banden ins Ungewisse fliehen.

Es gibt keine wirklich "sicheren Zonen" mehr

Wir leben mit dem ständigen Lärm von Schüssen. Ich habe gelernt, zwischen Einzelschüssen und automatischen Salven zu unterscheiden. Ich weiß, wann ich mich hinlegen, wann ich mich verstecken und wann ich still sein muss. Meine Frau und ich haben Fluchtwege und Notfallkontakte auswendig gelernt. Wir öffnen die Tür nicht, ohne zu fragen, wer da ist, und zweimal hinzuschauen.
Das Schlimmste daran? Wir gewöhnen uns alle daran. Das Geräusch von Schüssen lässt mich nicht mehr zusammenzucken. Das macht mir mehr Angst als die Kugeln. Das ist unsere neue Normalität.

 

Leben in Bedrohung Bild
Dona, die vor Banden fliehen musste, erhält von World Vision ein Notfallpaket – „Ich bin so froh, dass man mich nicht vergessen hat!“

Leben unter Bedrohung

Man schläft nie wirklich. Man legt sich hin und hofft, dass man spät in der Nacht keine Motorräder hört – solche, wie sie Gangs benutzen. Man nimmt jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit, niemals zur gleichen Zeit. Man packt eine Tasche mit Bargeld und Dokumenten für den Notfall, nur für den Fall. Und man hält sein Handy immer – immer – voll aufgeladen.
Sicherheitsvorkehrungen bestimmen mittlerweile jeden Aspekt meines Lebens. Wir denken nicht nur darüber nach, was passieren könnte, sondern planen ständig für den Fall der Fälle. Was, wenn eine Straßensperre errichtet wird? Was, wenn ein Kollege entführt wird? Was, wenn meine Kinder in der Schule sind, wenn es zu Gewaltausbrüchen kommt?
Wir haben Menschen verloren. Einige Freunde wurden entführt und nach wochenlangen Verhandlungen freigelassen. Andere hatten nicht so viel Glück. Ich kenne jemanden, der erschossen wurde, nur weil er sich weigerte, sein Auto aufzugeben. Ein anderer Freund geriet in ein Kreuzfeuer und überlebte nicht. Wir trauern, wir halten Mahnwachen, wir weinen – und dann stehen wir auf und gehen wieder zur Arbeit. Denn wenn wir es nicht tun, wer dann?

Guy Foto Quote
Bitte schaut nicht weg! Wir brauchen Solidarität. Wir brauchen Fürsprache. Aber mehr als alles andere brauchen wir, dass man uns sieht.
Guy Faubert Vital-Herne, arbeitet seit 15 Jahren bei World Vision in Haiti.

Warum ich bleibe

Manchmal weiß ich es selbst nicht. Viele haben Haiti verlassen. Ich verurteile sie nicht. Ich verstehe sie. Aber ich bleibe, weil meine Berufung stärker ist als meine Angst. Ich bleibe, weil ich glaube, dass Haiti kein hoffnungsloser Fall ist. Ich bleibe, weil jedes Kind, das wir beschützen, jedes Trauma, das wir heilen, ein kleiner Aufstand gegen das Chaos ist.
Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das nicht belastet. Ich trage die Angst auf meinen Schultern, die Hilflosigkeit in meiner Brust. Es gibt Tage, an denen ich mich fühle, als würde ich auf Reserve laufen. Aber es gibt immer, immer Gebete – um Kraft, um Sicherheit, um Frieden. Es ist schwer. Es ist anstrengend. Aber es ist eine heilige Arbeit.
Unter diesen Bedingungen zu arbeiten, erfordert mehr als Mut. Es erfordert eine Art Hoffnung, für die man Tag für Tag kämpfen muss.
Wenn Sie dies aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz lesen – aus einem Land, in dem Frieden selbstverständlich ist. Wo Kinder zur Schule gehen und die Straßen nachts beleuchtet sind – bitte schauen Sie nicht weg. Die Welt mag Haiti vergessen haben, aber wir sind immer noch hier, wir lieben immer noch, wir kämpfen immer noch, wir hoffen immer noch. Wir sind nicht nur Statistiken. Wir sind Väter, Mütter, Helfer, Pastoren und Kinder, die immer noch an der Hoffnung festhalten.

Wir brauchen Solidarität. Wir brauchen Fürsprache. Aber mehr als alles andere brauchen wir, dass man uns sieht.

Sein Hilferuf richtet sich an die Menschen in Ländern, in denen Frieden selbstverständlich ist. Haiti braucht Solidarität, Fürsprache und Aufmerksamkeit.
 

Healing Traumatized Children Bild 1

Um Kindern zu helfen, die durch Gewalt traumatisiert wurden, hat World Vision Freiwillige und Kirchenmitglieder in Haiti darin geschult, sie bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu unterstützen.

Healing Traumatized Children Bild 2

In einer Schulung von World Vision in Haiti erlernen Freiwillige, Mitarbeiter und Kirchenmitglieder, die gemeinsam daran arbeiten, Kindern nach traumatischen Gewalterlebnissen zu helfen.

Notfallpakete Haiti

World Vision hilft in Haiti mit Notfallpaketen, die an Binnenflüchtlinge verteilt werden, aber die Vorräte im zentralen Lager sind wegen der hohen Nachfrage stark gesunken – besonders Matratzen fehlen – und die Verteilung wird durch die von Banden blockierten Straßen und Häfen weiter erschwert.

In Haiti ist das Leben von Unsicherheit und Gefahr geprägt. Aber nicht nur in Haiti gibt es Menschen wie Guy Faubert Vital-Herne, die alles daran setzen, Kinder zu schützen, Gemeinden zu stärken und Hoffnung lebendig zu halten.

 Doch sie können es nicht allein schaffen. Deshalb benötigen sie Ihre Unterstützung.

Hoffnung schenken – Leben retten

Freie Spende Foto

 

 

 

 

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