Kindersoldat im Südsudan: Eine Reise in die Hölle und zurück
„‘Die Erde wird zerstört werden,‘ hörte ich meine Mutter sagen. Sie sprach mit Freunden über den Bürgerkrieg, der sich im Norden des Sudan zusammenbraute. Es war eine düstere Vorahnung und ich konnte mir zu dieser Zeit überhaupt nicht vorstellen, wie so etwas jemals passieren könnte,“ erzählt Angelo Mathuch.
In den 1980er Jahren erlebte er mit seiner Familie im Süden des Sudan eine einfache, für ihn aber glückliche Kindheit. Doch dann begannen kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Norden und dem Süden des Landes und Angelo wurde Kindersoldat. Hier erzählt er seine Geschichte:
„Als der Konflikt losging und der Norden gegen den Süden des Landes kämpfte, wurden viele Menschen getötet, ganze Dörfer niedergebrannt. Und eines Tages auch unseres. Das war der Zeitpunkt, an dem ich zu meiner Mutter sagte, dass ich losgehen und kämpfen lernen möchte, um sie und unsere Familie zu verteidigen. Ich war etwa sieben Jahre alt.
Wie alle Männer und Jungen schloss auch ich mich der „Sudan People‘s Liberation Army“ an. Nach drei Monaten in einem Ausbildungslager in Äthiopien wollte ich mit meiner Waffe wieder zurück im Dorf sein. Das war der Plan. Ich dachte, dass sich die Dinge in der nahen Zukunft nicht ändern würden, wenn man das Problem weiterhin ignoriert. Wenn wir zurückblieben, würden wir entweder umgebracht, vergewaltigt, gefoltert oder entführt.
Wir waren Tausende Kinder und drei Monate zu Fuß nach Äthiopien unterwegs. Im Ausbildungslager lernten wir mit Waffen umzugehen und was es heißt, ‚Soldat‘ zu sein.“
Deine Waffe ist alles, haben sie uns gesagt. Deine Mutter, deine Familie, dein Essen, dein Leben.
Angelo musste im Ausbildungslager zurückbleiben, weil er noch zu jung und schwach war, um ein Gewehr über lange Strecken selbst zu tragen. Nach einiger Zeit mussten die Kindersoldaten aufgrund von politischen Unruhen Äthiopien verlassen und in den Sudan zurückkehren. Wochenlang durchquerten sie Wälder, wurden aus der Luft bombardiert und litten Hunger. Folter, Krankheit, Prügel, Auspeitschung – Angelo hat in der Zeit, nachdem er sein Dorf verlassen hatte, Furchtbares erlebt.
An der Grenze zu Kenia traf er das erste Mal auf World Vision. „Sie brachten uns in ein Flüchtlingscamp nach Kenia. Dafür mussten wir unsere Waffen abgeben. World Vision verteilte Essen an uns. Ich blieb acht Jahre im Camp, ging hier zur Schule und lebte ein trostloses Leben als Flüchtling.“
„Dann hatte ich großes Glück und wurde Teil des Programms „lost boys“, bei dem 3.000 ehemalige Kindersoldaten bei Familien in den USA untergebracht wurden. Alles war eine Herausforderung: Das Essen mit Gabel und Messer, Rolltreppen, Telefone, Fernseher - und ich bin oft gegen Glastüren gerannt. In den USA ging ich zur High School und studierte Religionswissenschaften und Internationale Entwicklung. Als ich 2007 mein Studium beendete, war ich 27 Jahre alt und beschloss, in den Südsudan zurückzukehren, weil mein Land mich mehr brauchte als die Vereinigten Staaten.“
Nach 20 Jahren traf Angelo erstmals wieder seine Familie und konnte seine Mutter in die Arme schließen: „Sie war alt geworden und ich groß – aber sie wollte unbedingt, dass ich mich auf ihren Schoß setze. Wir haben die ganze Nacht geredet, ich musste ihr alles erzählen.“
Es war ein weiter Weg, aber ich habe zurückgefunden.
Als Mitarbeiter bei World Vision setzt sich Angelo heute für Kinder ein. Eine der Aufgaben von Angelo und seinen Kollegen im Südsudan ist die Reintegration von Kindersoldaten.
Angelo hat das gleiche Schicksal wie viele dieser Kinder: „Ich kann ihnen meine persönlichen Erlebnisse erzählen und sie ermutigen, positiv in die Zukunft zu blicken. Ich möchte ein Zeichen der Hoffnung für sie sein. Niemals hatte ich gedacht, dass sich mein Leben zu etwas Gutem wenden könnte, nachdem ich zuerst Kindersoldat, später Flüchtling und schließlich als „verlorener Junge“ in die USA geschickt wurde. Doch die Liebe ist die stärkste Kraft, die es gibt. Mit nur ein wenig Liebe im Leben, kann Gutes entstehen. Und nur darum geht es!“