Kongo: "Die Menschen stehen vor dem Nichts"
In der kongolesischen Provinz Kasai tobt seit zwei Jahren ein gewaltsamer Konflikt. Damals töteten Regierungssoldaten den Chef der Rebellenmiliz Kamuina Nsapu. Seitdem kämpfen Rebellen, Regierungssoldaten und eine regierungsnahe Miliz. Vielfach wurden Zivilisten Opfer dieser kriegerischen Auseinandersetzungen. Sie wurden überfallen, vergewaltigt, verstümmelt und ermordet. Unter den Opfern sind viele Kinder. World-Vision-Mitarbeiterin Eva Rosenkranz war jetzt in der DR Kongo, unter anderem auch in Kasai und berichtet von ihren Erfahrungen vor Ort.
Die Situation in Kasai ist angespannt
Frage: Frau Rosenkranz, wie hat sich Ihnen die Situation dort dargestellt?
Die Situation ist sehr prekär im Moment. Die Gründe sind vielfältig: Armut, Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung und den immer wieder verschobenen Wahlen. Gerade Kasai ist eine Hochburg der Opposition. Das führte zu dieser Explosion der Gewalt in den vergangenen Jahren. Im Moment sehen wir eher die Folgen der Gewalt. 1,4 Millionen Menschen wurden vertrieben, davon ist jetzt die Hälfte zurückgekehrt. Diese Menschen stehen vor dem Nichts. Sie haben dreimal hintereinander nichts anbauen können. Schulen wurden niedergebrannt. Ebenso Gesundheitszentren. Wir haben in Kasai momentan eine Hungerkrise.
Frage: Abgesehen von der zunehmend kritischen Versorgungslage – wie ist es denn um die Sicherheit bestellt?
E.R.: Wir müssen öfter mal Hilfsaktionen wie die Verteilung von Lebensmitteln unterbrechen, weil wieder mal Menschen umgebracht wurden. Während ich da war wurde das Auto einer anderen NGO an einer illegalen Strassensperre ausgeraubt. Insgesamt ist die Lage aber stabiler geworden.
Frage: In einem jetzt veröffentlichten Bericht der UN heißt es, dass unvorstellbare Grausamkeiten von Rebellenmilizen wie auch Regierungssoldaten begangen werden. Folter, Vergewaltigungen, Mord und Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten. Konnten unsere Kollegen vor Ort derartige Berichte bestätigen?
E.R.: Wir betreiben ja ein Kinderschutzzentrum in Kasai. Diese Kinder berichten uns davon, dass sie mit ansehen mussten, wie ihre Eltern ermordet wurden. Einige wurden zwangsrekrutiert. Die Brutalität ist real.
Frage: World Vision betreibt im Ostkongo, in der Nachbarschaft zu Kasai, ein Zentrum für die Reintegration von Kindersoldaten. Ist unsere Arbeit von den Konflikten betroffen?
E.R.: Viele der Vertriebenen in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu flüchten in die Städte, nach Beni und Butembo, da wo wir auch arbeiten. Das heißt, unsere Arbeit dort wird immer wichtiger. Die Straßen, die zu unseren Projekten führen, werden aber immer unsicherer. Ich würde auch sagen, dass die Lage in Nord-Kivu unsicherer ist als in Kasai. Denn die Gewalt dort ist nicht wie in Kasai explodiert und dann wieder abgeklungen. Die Gewalt in Nord-Kivu ist eine gewachsene Gewalt. Die Milizen dort haben alle ihre bestimmten Ziele. Zugleich gibt es mehr Regierungssoldaten. Und somit auch mehr Konflikte.
Unsichere Zukunft
Frage: Die Situation ist in weiten Teilen des Kongo katastrophal. Die Regierung ist offenbar überfordert, die internationale Gemeinschaft desinteressiert. Jetzt sollen auch noch die UN-Truppen reduziert werden. Steht Kongo ein Schicksal wie Somalia mit Anarchie und Staatszerfall bevor?
E.R.: Sehr viel hängt von den Wahlen ab, die im Dezember stattfinden sollen. Sie wurden schon zweimal verschoben. Die Bevölkerung ist müde, sehnt sich nach Frieden. Sie hat aber auch keine Lust mehr auf den jetzigen Präsidenten Kabila. Wenn er sich wieder aufstellen lässt, wird es blutige Demonstrationen geben. Wenn nicht, wäre das ein guter Schritt für den Kongo.
Frage: Kann aus Ihrer Sicht noch etwas getan werden, um den Kongo zu stabilisieren und wenn ja, was?
E.R.: Hoffnung vermittelt die junge Generation. Sie ist gut vernetzt, hat eine starke Zivilgesellschaft gebildet. Und man muss die lokalen Führer einbinden in einen Prozess, der zum Frieden führt.