05.12.2022

Bei den Frauen am roten Fluss

Reisebericht aus der Zentralafrikanischen Republik

Autor: IManner

von Ha-na Schulz, Referentin für humanitäre Hilfe

Während eines Projekt-Besuchs im Oktober 2022 habe ich die Zentralafrikanische Republik als einen Ort voller Leben, Komplexität und Wärme (der Menschen und des Klimas) und vor allem voller Widerstandsfähigkeit erlebt. Ich bewundere die Fähigkeit der durch Konflikte entwurzelten Menschen, der Vertriebenen, der Rückkehrer, immer wieder neu anzufangen. Ich fand bei ihnen nicht nur den Wunsch zu überleben, sondern auch ein sinnvolles Miteinander zu finden. Und das angesichts des  Mangel an den elementarsten Dingen: sauberes Wasser, Nahrung, angemessene und sichere Unterkünfte.

Von der Hauptstadt Bangui aus fuhren lokale Mitarbeiter mit mir nach Bambari, wo wir ein von Aktion Deutschland Hilft (ADH) finanziertes Nothilfe-Projekt umsetzen, an dessen Koordinierung ich beteiligt bin. Die Handelsstadt Bambari liegt in einer üppigen Landschaft mit sehr fruchtbarem Boden. In diesem Zusammenhang wurde mir veranschaulicht, warum Konflikte eine der Hauptursachen für Hunger sind. Wenn man seine Felder aufgrund von Konflikten aufgeben muss oder wenn man zurückkehrt, aber keine Mittel hat, um Werkzeuge oder Saatgut für die Bewirtschaftung zu kaufen, nützt einem auch der fruchtbarste Boden nichts.

Bambari hat zwar nur etwa 50 000 Einwohner, erstreckt sich aber über ein riesiges Gebiet. So leben viele der Vertriebenen und Rückkehrer, die wir besuchten,  in sehr abgelegenen Gebieten. Dort ist der Zugang zu Märkten oder anderen grundlegenden Infrastrukturen oder Dienstleistungen extrem eingeschränkt. Verlassene Häuser säumen die Wegesränder, einige von ihnen werden mittlerweile von Vertriebenen bewohnt. Auf den Straßen sind unbegleitete Kinder zu sehen, von denen einige infolge des Konflikts zu Waisen geworden sind.

Durch Bambari fließt ein rötlich-brauner Fluss, der vielen Menschen als Wasserquelle dient, zum Trinken und Waschen. Das Wasser ist zum Trinken nicht sicher, und durch verschmutztes Wasser übertragene Krankheiten sind ein weit verbreitetes Problem. Frauen und Mädchen müssen außerdem Wasser von entlegenen Stellen holen und werden so häufig Opfer von sexueller Gewalt.

Mit Spenden an Aktion Deutschland Hilft hat World Vision mehrere Brunnen für Tausende von Menschen gebaut und instand gesetzt, um den Zugang zu sicherem Wasser zu erleichtern. So wird es auch für Frauen und Mädchen sicherer, eine Wasserquelle aufzusuchen. Obwohl ich hoffe, dass mir alle Erinnerungen und Eindrücke dieser Reise noch lange in Erinnerung bleiben werden, bin ich mir sicher, dass einige davon besonders prägend sind.

Ein Frau in der zentralafrikanischen Republik pumpt Wasser aus einem neuen Brunnen.
Am neuen Brunnen füllt sich der Eimer schnell mit sauberem Wasser.

An einem besonders heißen Tag kamen wir in einer Gemeinde an, in der vertriebene Nomaden leben. Wir wurden herzlich empfangen, und an dieser Stelle muss ich sagen, dass der Besuch ein eindrucksvolles Zeugnis für die enge Verbindung unserer Mitarbeiter mit den Gemeinschaften in Bambari ist. Amara führte uns durch die Gemeinde und zeigte uns ihre kleine Unterkunft, die nur aus Stroh besteht.  Sie berichtete, dass die Unterkunft bei Regen überschwemmt wird und die Kinder mitten in der Nacht aufstehen müssen. Sie muss dann die Kleinsten tragen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Unterkunft weder angemessen noch sicher ist, und ich hörte wiederholt, wie Mitglieder verschiedener Gemeinschaften beschrieben, dass ihre Unterkunft bei Regen überflutet wird.

Wir sprachen weiter mit Amara und sie zeigte uns den Inhalt des Hygiene-Pakets, das World Vision an sie verteilt hatte. Das Paket enthielt unter anderem Damenbinden, und Amara fragte mich, was passieren wird, wenn sie die Binden aufgebraucht hat...Es machte mich traurig, dass ich in diesem Moment keine Antwort für sie hatte. Ich hoffe, dass wir weitere Mittel für eine gute Lösung finden werden. Derzeit benutzen Frauen und Mädchen Tücher als Ersatz für Binden, oft fehlt auch Unterwäsche, und es gibt kein Abfallentsorgungssystem für gebrauchte Tücher. Mir ging durch den Kopf, wie ich mich fühlen würde, wenn ich meine Periode hätte und es keine geeigneten oder sauberen Schutzmittel gäbe.

In der gleichen Gemeinde sah ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Kind, das infolge von Hunger verkümmert war. Der kleine Junge war 5 Jahre alt, sah aber nicht älter als 2 Jahre aus. Sein Vater berichtete, dass er und seine Frau 9 Kinder haben und dass die Kinder oft hungern müssen. Ich dachte darüber nach, wie schwer es für ein Elternteil sein muss, einem völlig Fremden mitzuteilen, dass seine Kinder hungern, und um Unterstützung zu bitten. Das Bild des Jungen, nachdem der Vater uns sein Alter verraten hatte, werde ich wohl nie mehr vergessen. Wir lesen so viel über Hunger und sehen so viele Bilder, dass einige von uns vielleicht desensibilisiert und desillusioniert gegenüber dem sind, was es bedeutet, hungrig zu sein und was wir tatsächlich dagegen tun können.

Frauen in der Zentralafrikanischen Republik bei der Feldbarbeit
Trotz vieler Probleme sieht man Frauen, die mit viel Energie an die Arbeit gehen.

Auch wenn die Situation sehr komplex ist, so ist doch klar, dass humanitäre Hilfe benötigt wird, um die schlimmsten Nöte zu mildern, und zwar parallel zu Maßnahmen zur Schaffung von Lebensgrundlagen, die es den Familien ermöglichen, sich selbst zu versorgen. Solche Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit wurden uns gegenüber mehrfach erwähnt, sowohl bei Treffen mit anderen Hilfsorganisationen als auch von Mitgliedern der Gemeinschaft selbst. Da sich die Lage in Bambari nach den Auseinandersetzungen beruhigt hat, brauchen die Menschen die Mittel, um ihr Leben wieder aufzubauen. Das bedeutet, dass zwar weiterhin humanitäre Hilfe benötigt wird, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen, gleichzeitig aber auch Unterstützung erforderlich ist, die es den Gemeinschaften ermöglicht, diese Bedürfnisse langfristig selbst zu befriedigen, und es ist klar, dass die Menschen dies auch wollen.

Ich könnte noch viel über die ungestillten Bedürfnisse der Menschen sagen, aber ich möchte auch die freudigen Momente erwähnen, die wir hatten und die zeigen, dass ein positiver Wandel im Gange ist. Wir trafen die Gemeindemitarbeiterin Imani, die World Vision im Bereich der Hygieneförderung geschult hatte, um die Gemeinden für Hygienepraktiken wie Händewaschen und Methoden zur sicheren Wasseraufbewahrung zu sensibilisieren. Ich wünschte, ich hätte ein Video, um ihre Energie und ihren Enthusiasmus zu zeigen. Was ich sagen kann, ist, dass Farida (unsere hervorragende WASH-Koordinatorin) Schwierigkeiten hatte, mit dem Übersetzen Schritt zu halten, als Imani uns von der Schulung erzählte, wie sie die Gemeinde sensibilisiert und welche Verhaltensänderungen sie beobachtet. Trotz der Sprachbarriere konnten wir gut lachen, während wir über Fotos sprachen und ich versuchte, die wenigen Worte Sango (die lokale Sprache) zu sprechen, die ich kenne. Vor allem möchte ich mich bei unserem wunderbaren Team vor Ort bedanken, das trotz der schwierigen Bedingungen eine ungebrochene Motivation und Freundlichkeit an den Tag legt, was sich auch in den starken Beziehungen zur Gemeinde widerspiegelte. Singuila mingi (vielen Dank), an das Team und die Gemeinden, die uns so herzlich aufgenommen haben, die uns ihre Häuser geöffnet und ihre Gedanken und Erfahrungen mit uns geteilt haben.

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