Abdul Nasir konnte seine Frau gerade noch davon abhalten, ins Haus zu rennen, als beide im Garten stehend ein lautes, sehr unheimliches Geräusch hörten. "Es klang wie eine Explosion", erinnert sich der 45jährige Bauer. Um sie herum stürzten die Häuser ein. Kaum ein Stein blieb auf dem anderen. Abdul und seine Frau konnten ihre beiden Söhne und einen Sohn der Nachbarn lebendig aus den Trümmern hervorholen, doch ihre Tochter Ziagul wurde von Lehmziegeln der einstürzenden Dorfschule erschlagen. "Es war ein sehr schmerzhafter Moment für mich, als ich sie tot in den Armen hielt und ihrer Mutter übergab", sagt Abdul. "Sie war 7 Jahre alt und Klassenbeste."
Geduldig hat sich Abdul eingereiht in die Gruppe von Dorfbewohnern, denen Mitarbeiter von World Vision an diesem Tag Bargeld für die Versorgung ihrer Familien aushändigen. "Das ist für uns gerade die beste Hilfe, denn damit können wir viele Probleme lösen", sagt er, zeigt seine Berechtigungskarte vor und dankt den Helfern, die am Rande eines Zeltlagers eine Verteilstation eingerichtet haben.
Erdbeben überraschte die Region kurz vor dem Winter
Seit dem 7. Oktober hatte eine Serie schwerer Erdbeben den Westen von Afghanistan erschüttert. Das stärkste, mit einer Stärke von 6,3 auf der Richterskala, hatte sein Epizentrum weniger als weniger als 25 Meilen von der Stadt Herat entfernt, wo World Vision Afghanistan seinen Hauptsitz hat. 382 Dörfer erlitten Schäden und manche wurden völlig zerstört. Vor allem Frauen und Kinder starben beim Einsturz der Häuser oder wurden verletzt. Zehntausende Menschen mussten in Zelte umziehen und viele Familien verloren auch ihre Tiere und Werkzeuge.
Die Katastrophe ereignete sich kurz vor Winter-Einbruch und zu Beginn der Jahreszeit, in der ohnehin viele Menschen besonders unter Armut und Hunger leiden, weil die nächste Ernte erst in einigen Monaten ansteht. Für Familien, die jetzt in Notlagern leben, wird dieser Winter sehr hart. Durch die karge, meist baumlose Landschaft fegt oft ein kalter Wind und der Boden gefriert. Auch für die lokalen Mitarbeiter von World Vision sind diese Wetterbedingungen eine große Herausforderung. Und viele von ihnen sind selbst betroffen, haben Angehörige verloren oder mussten selbst ihre Häuser verlassen.