18.08.2021

Jederzeit bereit für gefahrvollen Einsatz

Nothilfe-Teams im Südsudan: Starke Nerven und „fit wie James Bond“

Autor: SHolten

Von Cecil Laguardia, Senior Manager, Advocacy and Communications, und Benard Nyataya, Koordinator für Nahrungsmittelhilfe bei World Vision Südsudan

„Etwa drei Stunden müssen wir mit dem Hubschrauber fliegen, bevor wir die Menschen erreichen, die in unserem Einsatzgebiet am weitesten von unserer Basis entfernt leben. Manche Regionen sind sehr schwer zu erreichen. Es gibt kein Mobilfunknetz, nur schlammige Wege, keine Märkte und keine medizinischen Einrichtungen.“

Benard Nyataya erzählt von einem typischen Einsatz der letzten Monate. Er ist ein Notfallhelfer, der Lebensmittel an die gefährlichsten Orte im Südsudan liefert – an Orte, die die meisten Menschen nicht zu betreten wagen. 

Abwurf von Nahrungsmitteln im Südsudan. Photo Courtesy: WFP

Abwurf von Nahrungsmitteln im Südsudan

Helferinnen und Helfer müssen nach der Landung sicherstellen, dass die Nahrungsmittelpakete bei den Richtigen ankommen.

Helferinnen und Helfer müssen nach der Landung sicherstellen, dass die Nahrungsmittelpakete bei den Richtigen ankommen.

Frauen sind meist zuerst zur Stelle, um Nahrungsmittel-Lieferungen einzusammeln und zu verteilen.

Frauen sind meist zuerst zur Stelle, um Nahrungsmittel-Lieferungen einzusammeln und zu verteilen.

Flusstransport von humanitärer Hilfe im Südsudan

Flusstransport von humanitärer Hilfe im Südsudan

Das Team der sogenannten „Rapid Responder“ von World Vision unterstützt in Kooperation mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen aktuell fast 200.000 Binnenflüchtlinge, davon mehr als 35.000 Kinder. Viele dieser Menschen mussten ihre Dörfer verlassen, da es nichts mehr zu essen gab. Sie leben nun zerstreut in 19 verschiedenen und schwer zugänglichen Orten. Für den Transport von Nahrungsmitteln werden je nach Wegen zum Zielgebiet Flugzeuge, Hubschrauber, Lastwagen oder Wasserfahrzeuge benutzt. Die Einsätze der Hilfsteams dauern in der Regel zwei bis drei Wochen. In dieser Zeit kampieren sie meist in Zelten oder Behelfsunterkünften, oft auch allein im Busch.

28 World Vision Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören insgesamt zur schnellen Einsatzgruppe, jedes Team besteht aus sieben Personen. Innerhalb von 72 Stunden müssen sie reisebereit sein. Sie müssen durchtrainiert sein, mit den gefährlichsten Situationen fertig werden können und brauchen Nerven wie James Bond.

Immer wachsam und schnell sein – in der Luft, im Wasser, an Land

Die zwei wichtigsten Anforderungen zusätzlich zur ständigen Einsatzbereitschaft beschreibt Benard so: „Unsere Leute müssen in der Lage sein, sich auf die unterschiedlichsten Bedingungen einzustellen, und sie müssen sich auch selbst aus Gefahrensituationen retten können.“ Als ihr Leiter muss Benard immer darauf achten, dass sie gesund bleiben und die Risiken eines Einsatzes gut bedacht werden.

Jede Art des Hilfstransports habe ihre eigenen Vorteile und Herausforderungen, erklärt er. „Bei Abwürfen aus der Luft müssen die Säcke mit Hilfsgütern exakt an den Orten abgeworfen werden, wo sich die Bedürftigen aufhalten. Das erfordert ein hohes Maß an Wachsamkeit und Vertrauen bei allen Akteuren. Zu Verteilpunkten an Flussstandorten muss das Team oft stundenlang mit dem Boot fahren und dort so schnell wie möglich alles verteilen.“ In der Regenzeit müssten die Helferinnen und Helfer besondere Schwierigkeiten meistern, „weil viele Gebiete dann überschwemmt sind und es keinen sicheren Ort zum Abladen der Hilfsgüter gibt.“ Dann werden behelfsmäßige Ablagestellen, zum Beispiel aus Seerosen und Plastikplanen, gebaut. Beim Waten durch das Wasser heißt es wieder wachsam sein: Im Fluss leben Krokodile.

Wilde Tiere und Diebe als nächtliche Besucher

Nach der Arbeit ist man abends im Zelt auch nicht immer unter sich, wie Benard weiter berichtet. „Infolge der jüngsten Dürre haben die Fälle zugenommen, in denen wilde Tiere auf der Jagd nach Vieh in das Lager des Teams eindrangen. Obwohl ein lokaler Wachmann zum Schutz und zur Unterstützung des Teams eingestellt wurde, bieten die Zelte keinen starken Schutz, der einen direkten Angriff wilder Tiere abwehren könnte.“ So müssen die Helferinnen und Helfer immer mit dem Eindringen von Schlangen, Hyänen, Skorpionen und sogar umherstreifenden Löwen rechnen. Und Tiere sind nicht die einzige nächtliche Bedrohung, auch Diebe können in die Zelte eindringen.

Unsere Leute müssen sich auf die unterschiedlichsten Bedingungen einstellen und sich auch selbst aus Gefahrensituationen retten können.
Benard Nyataya, RRM-Koordinator für Nahrungsmittelhilfe

Konflikte zwischen Menschen bereiten den Helfern allerdings die größten Probleme. „Die Komplexität der Konflikte im Südsudan hat zur Folge, dass Zusammenstöße in den Gemeinden  jederzeit und ohne Vorwarnung ausbrechen können“, ist Benards Erfahrung. Daher sei es wichtig, dass die Maßnahmen der Organisation von den Menschen vor Ort wertgeschätzt und gut koordiniert seien. Doch müssten die Helferinnen und Helfer immer darauf gefasst sein, dass bei einer Verteilung von Nahrungsmitteln Gewalt ausbricht, wenn Feinde aufeinander treffen.

„Als wir einmal zur Verteilung von Nahrungsmitteln im Bezirk Nassir, einem Teil des Bundesstaates Upper Nile, eingesetzt wurden, wurden wir in den frühen Morgenstunden von einem bewaffneten Angriff in der Gemeinde geweckt. Wir hörten schnelles Gewehrfeuer, Explosionen aus nächster Nähe, Gegenangriffe, weinende Frauen und Kinder, Haustiere, die um ihr Leben rannten. Unser Team befand sich inmitten des Chaos. Dies ist nur eine der unzähligen Erinnerungen, die man nur schwer vergessen kann.“

Im Notfall muss das Team ausgeflogen werden. Das kann aber Tage dauern und ist noch gefährlicher, „wenn das Wetter schlecht ist und wenn wir nicht erreicht werden können“, so Benard. „Es ist eine ständige Herausforderung, die Moral des Teams hoch zu halten, da wir von der Außenwelt abgeschnitten sind, manchmal bis zu drei Wochen lang.“

Zelt-Camp von einem World Vision-Nothilfe-Team im Südsudan
Während der Regenzeit stehen auch die Zelte des Nothilfe-Teams oft im Wasser.
World Vision-Nothelferin im Südsudan
Annett Kabang – eine Kollegin von Benard – arbeitet gerne im direkten Kontakt mit den Ärmsten der Armen.

Trotz aller Risiken und Strapazen findet Benard seine Arbeit lohnend und erfüllend. „Ich bin stolz darauf, Teil eines Teams zu sein, das sich für die Ärmsten der Armen einsetzen kann. Kaum jemand kann sich vorstellen, unter welchen Bedingungen manche Menschen leben müssen.“

Er erinnert sich an eine von vielen Begegnungen, die ihm die Notwendigkeit seiner Einsätze, aber auch die Notwendigkeit weiterführender Ansätze der Hilfe zur Selbsthilfe vor Augen führte: „In Riang Boma im Bezirk Ulang ist es fast das ganze Jahr über ziemlich trocken. In der Gegend gibt es keine Bäume, und das Überleben hängt von kleinen Vertiefungen im Boden ab, die zeitweise Wasser enthalten. Als unser Team ankam, sangen und tanzten die Frauen. Eine Frau konnte sich nicht zurückhalten und brach in Tränen aus, als sie erzählte, dass sie keine Möglichkeit mehr hatte, ihre Kinder zu ernähren. Sie hatte ihren Mann im Krieg verloren. Sie sagte, sie habe Gras und andere Blätter für die Kinder gekocht. Sie sagte sogar, dass sie gelegentlich spätabends ein Feuer entfacht, um den Kindern den Eindruck zu vermitteln, dass etwas zubereitet wird. Dabei würden sie wartend einschlafen. Das war die einzige Möglichkeit, sie zum Schlafen zu bringen. Als sie ihre Lebensmittelration erhielt, die aus Hirse, Spalterbsen, Pflanzenöl und einigen Nahrungsergänzungsmitteln aus Mais-Soja-Gemisch bestand, kam sie zu uns, um sich zu bedanken und uns zu bitten, immer an sie zu denken.“

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