20.01.2023

World Vision im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung

Männer werden Anti-FGM-Botschafter für das Wohl von Mädchen & Frauen

Autor: DBathe

Unter weiblicher Genitalverstümmelung oder auch FGM, Female Genital Mutilation, versteht man das aus medizinischer Sicht nicht notwendige gänzliche oder teilweise Entfernen der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane. In etwa 31 Ländern auf der Welt wird FGM praktiziert. Rund 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit sind laut UNICEF davon betroffen. Eines dieser Mädchen ist Anita. Um ihre Geschichte soll es hier gehen. 

Weibliche Genitalverstümmelung – vielerorts Voraussetzung für eine Ehe

Anita hat große Träume. Die 14-Jährige möchte Anwältin werden. Und sich in diesem Beruf für die Rechte von Kindern einsetzen. Vor allem für das Recht auf körperliche Unversehrtheit, für den Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung. Denn sie musste es selbst durchleiden.

Was mit ihr als Achtjährige in ihrem Dorf im Bezirk Kajiado in Kenia geschah, hat sie damals nicht verstanden. Sie wusste nur, dass es mit allen Mädchen so gemacht wurde und dass sie später verheiratet werden sollte. 
„Ich wurde beschnitten, als ich noch sehr klein war. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern, aber ich weiß, dass ich in der zweiten Klasse war und es schmerzhaft war. Wenn ich jetzt meine Periode habe, spüre ich Schmerzen dort, wo ich geschnitten wurde“, sagt sie.

Ihr Vater Tobiko, damals Alkoholiker und finanziell angeschlagen, wollte Anita schnell verheiraten, um eine Mitgift in Form von Vieh zu erhalten, von dem er sich Wohlstand erhoffte. Notwendig für die Verheiratung erachtete er die Genitalverstümmelung seiner Tochter. 

Anitas Mutter konnte die Genitalverstümmelung ihrer Tochter nicht verhindern, aber sie kämpfte hart dafür, die Ehe zu verhindern. Dadurch konnte Anita in der Schule weiterlernen.

 

Anita beim Lernen
Anita beim Lernen - denn sie hat große Pläne für ihre Zukunft
Ich wurde beschnitten, als ich noch sehr klein war. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern, aber ich weiß, dass ich in der zweiten Klasse war und es schmerzhaft war.
Anita

Flucht vor Frühverheiratung – ein mutiger Schritt in die Freiheit

Aber der Sieg war nur von kurzer Dauer. Im Alter von 13 Jahren, kurz nach Abschluss ihrer Grundschulausbildung, schmiedete ihr Vater erneut einen Plan, sie zu verheiraten. „Mein Vater und der Mann, der mich heiraten wollte, kamen durch die eine Tür herein und ich rannte durch die andere weg“, erzählt Anita. Ein mutiger Schritt, der ihren Lebensweg veränderte. Fünf Jahre zuvor, als ihre Klitoris und ihre Schamlippen beschnitten und teilweise entfernt wurden, war Anita ein unschuldiges Mädchen gewesen. Dass das, was ihr angetan wurde, rechtswidrig, grausam und ungerecht war, kam ihr nicht in den Sinn. Aber mit 13 Jahren war sie nicht mehr naiv und machtlos. Dieses Mal war sie bereit, zu kämpfen.

„Ich wusste, dass das, was sie mit mir gemacht hatten, falsch war. Im Kinderrechtsclub in der Schule hat World Vision uns über Kinderrechte, die Gefahren von FGM und die Auswirkungen von Kinderehen aufgeklärt. Und uns gesagt, wo man Hilfe bekommt, wenn man ein Problem hat, beigebracht“, sagt sie. Mit diesem Wissen und ihrem neuen Selbstbewusstsein, rannte Anita von zu Hause weg und suchte Zuflucht und Hilfe im Büro des Bürgermeisters. Die Beamten handelten schnell und doch zu spät: Ihr Vater floh umgehend in ein Nachbarland, um seiner Verhaftung zu entgehen.

Die Angelegenheit wurde auch der Kinderabteilung des Bezirks Kajiado gemeldet, die World Vision kontaktierte, um Unterstützung für Anita zu organisieren. „Ich bekam Hilfe von World Vision und konnte aufs Gymnasium gehen. Sie bezahlten meine Schulgebühren und kauften für mich ein“, sagt sie. Gelebt hat sie damals in einem Kinderrettungszentrum, das von einigen Wohltätigkeitsorganisationen betrieben und durch Spenden finanziert wurde. Anita fühlte sich wohl, ihr Leben schien wieder eine Perspektive zu haben. Doch dann der Schock: Das Zentrum musste wegen mangelnder Spenden geschlossen werden. Alle Kinder sollten zurück nach Hause. Anita vermisste zwar ihre Geschwister und Familie, doch sie war auch besorgt und hatte Angst, nach Hause zurückzukehren. Ihr Vater war inzwischen zurückgekehrt, von seiner Verhaftung war keine Rede mehr. Anita befürchtete, verheiratet zu werden und ihren schlimmsten Albtraum zu erleben.

Anita FGM Betroffene
Anita hütet bei ihren Eltern die Ziegen

Ein Wandel ist möglich - gemeinsam gegen FGM

Dann kam der zweite Schock. Doch diesmal ein äußerst positiver: Bei ihrer Ankunft fand sie ihren Vater als veränderten Mann vor.

Während Anitas Abwesenheit hatte World Vision ihren Vater dazu bewegen können, an einem Dialogforum teilzunehmen. Diese Foren haben das Ziel, gerettete Kinder wieder in ihre Familien zu integrieren. Väter, Brüder, Onkel nehmen daran teil.
Die Gesprächsrunden werden von ausgebildeten Moderatoren geleitet und konzentrieren sich auf den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, Kinderheirat und für hochwertige Bildung für Mädchen und Jungen. Sie finden regelmäßig mit Unterstützung von World Vision und UNICEF statt und sie helfen Männern in der Gemeinde, die Folgen von FGM, der weiblichen Genitalverstümmelung, zu verstehen und Botschafter der Anti-FGM-Bewegung zu werden.

Anitas Vater, der 52 Jahre alt ist, gibt an, dass er FGM früher als ganz normale Praxis angesehen hatte. Für ihn war es ein Ritual, an dem ihre Massai-Gemeinschaft seit vielen Generationen festhält. Er glaubte daher nicht, dass das, was er tat, falsch war.
Die Männerdialogforen öffneten ihm die Augen, ermöglichten ihm zu verstehen, welche brutalen Auswirkungen FGM und Kinderheirat auf Mädchen haben. „Ich habe an Gemeindedialogen im Dorf teilgenommen und sie haben meinen Willen gestärkt, Genitalverstümmelung zu vermeiden und allen meinen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen“, sagt Tobiko. „Ich habe zwei weitere Töchter und sie sollen zur Schule gehen, damit sie im Leben erfolgreich sind.“ Anita stimmt zu: „Meine beiden jüngeren Schwestern sind nicht beschnitten und ich möchte, dass sie es bleiben. Also habe ich meinen Eltern gesagt, dass wir sie immer beschützen müssen.“

Nach ihrer Rückkehr versprach ihr Vater Anita, dass er sie nicht verheiraten werde.: „Ich bin seit 3 Monaten zu Hause und Papa hat das Thema Heirat nicht angesprochen. Wir reden miteinander, aber Heirat ist kein Thema! Er ermutigt mich jetzt zum Lesen, damit ich eine gute Zukunft haben kann“, sagt Anita. Trotz der harten Zeiten hat Anita ihre Träume nicht aus den Augen verloren. „Ich habe meine Schulbücher hier zu Hause und habe nachts Zeit zum Lernen mit einer solarbetriebenen Laterne, die wir von World Vision bekommen haben. Tagsüber erledige ich Hausarbeiten. An meinem Ziel halte ich fest: Ich werden Anwältin für Kinderrechte.“

 

Text von: Dirk Bathe und Sarah Ooko

Zahlen & Fakten zu weiblicher Genitalverstümmelung

  • 200 Mio. Frauen und Mädchen sind weltweit laut UNICEF von FGM betroffen.
  • In 31 Ländern der Welt findet FGM statt.
  • FGM wird meist an jungen Mädchen zwischen dem Säuglingsalter und 15 Jahren durchgeführt.
  • FGM ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte von Mädchen und Frauen.

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