18.10.2021

Vom Patenkind zur Doktorandin

Paulines Geschichte

Author: CVogel

Wie schaffte es Pauline als Patenkind im ländlichen Kenia sauberes Wasser in ihr Dorf zu bringen? Dies ist ihre Geschichte:

„Ich kann Hütten bauen, das traditionell gebratene Fleisch zubereiten, eine Ziege, eine Kuh oder ein Kamel melken. Ich wurde gut ausgebildet, um eine Turkana-Frau zu sein. Warum schreibe ich dies also an meinem Schreibtisch in Coventry in England?

Um meine akademischen Träume zu verwirklichen, habe ich den ganzen Weg von meinem Heimatort Morulem nach England zurückgelegt und ich fühle mich gleichermaßen glücklich und gesegnet. Aber es hatte nicht nur mit Glück zu tun. Durch harte Arbeit und Ausdauer kann man seine Träume erreichen, das kann ich nur bestätigen.

Ein schwieriger Start ins Leben

Ich wuchs in der Region Turkana in Kenia auf. Das Dorf ist bekannt für seine spektakulären Akazienbäume und die Schatten, die sie in der Nacht werfen. Ich stamme aus einer bescheidenen Nomadenfamilie mit sechs Geschwistern: drei Mädchen und drei Jungen. Unser Haus liegt zentral im Dorf, mit Akazienbäumen rechts und links und einem Blick auf den Hügel im Südosten, von dem aus man jeden Morgen den Sonnenaufgang sehen kann.

Der Bezirk Turkana liegt im nordwestlichen Teil Kenias. Er zeichnet sich durch ein extrem trockenes Klima sowie verheerende und schwere Dürren aus. Dort leben 99 % der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag, die Analphabetenrate ist hoch und die Möglichkeiten sind begrenzt. Der Bezirk ist im Vergleich zu anderen Teilen des Landes unterentwickelt und leidet unter Wasserknappheit, wodurch ich schon enge Verwandte sowie Freundinnen und Freunde verloren habe.

Wasser, Gesundheit und Bildung

Die wichtigsten Wasserquellen in Dörfern wie meinem sind Handpumpen und Flachbrunnen. Die Wasserqualität entspricht keinen internationalen Standards. Da es aber nicht anders geht, nutzen die Menschen das Wasser für den Hausgebrauch und die Viehzucht, was ihre Anfälligkeit für durch Wasser übertragene Krankheiten erhöht und ihre Gesundheit gefährdet.

Die Schulen haben vor allem in den abgelegenen Gebieten zu wenig Lehrkräfte und sind schlecht ausgestattet. Die Kinder müssen oft mehr als zwei Kilometer zu Fuß zur Schule laufen. Das ist anstrengend und entmutigt viele, ihre Bildung zu beginnen oder abzuschließen.

Die meisten Familien in Turkana sind Nomaden. Die Männer treffen in der Regel alle Entscheidungen, während die Frauen wenig Rechte haben. Mädchen dürfen meist nicht in die Schule gehen, da das nicht als wichtig erachtet wird. Die Situation ändert sich zwar allmählich, aber ein wirklicher Wandel wird noch einige Zeit dauern.

Pauline als Patenkind von World Vision
Pauline konnte dank ihrer Patenschaft in Kenia zur Schule gehen.
Pauline vor der Universität in England
Ihr Weg hat Pauline bis zur Universität in England geführt.

Hausarbeit und Schule

Ich war in unserer Familie das älteste Mädchen und früh für die gesamte Hausarbeit und das Hüten der Tiere verantwortlich. Früher musste ich meine Zeit zwischen Schule, Wasserholen und dem Vieh aufteilen. Heute verfügt das halbe Dorf über ein Leitungswassersystem. Aber als Kind war es für mich sehr mühsam, das Wasser mithilfe der Handpumpe zu schöpfen. Ich erinnere mich, dass die kräftemäßig stärkeren Kinder an uns vorbeigingen und wir manchmal lange warten mussten. Montags bis donnerstags war ich in der Schule und am Wochenende führte ich unsere Ziegen auf die Weide, die mehr als zehn Kilometer vom Dorf entfernt lag.

Patenschaft verändert mein Leben

Bevor die kostenlose Grundschulbildung in Kenia eingeführt wurde, konnten sich die meisten Eltern das Schulgeld nicht leisten, auch mein Vater nicht. Als der Schulbesuch kostenlos wurde, mussten die Eltern aber noch immer für die Uniformen und die Ausrüstung aufkommen. Für die meisten Eltern war dies nicht möglich und ein weiteres Hindernis, die Kinder zur Schule zu schicken.

Glücklicherweise begann das Patenschaftsprojekt von World Vision ungefähr zur gleichen Zeit, als ich in die Schule kam. Kinder aus den trockenen Regionen Kenias sollten in der Schule gefördert und unterstützt werden. Ist das nicht ein Segen und Glück? Durch die Kinderpatenschaft wurde vielen Eltern eine große Last abgenommen. Ich erhielt während der gesamten Grundschulzeit kostenlos Schuluniformen, Bücher oder Moskitonetze.

Mein Vater meldete mich an einer Grundschule an, damit ich lerne, meinen Namen zu schreiben, und ich wollte ein kostenloses Essen bekommen. Auch Lebensmittel waren knapp, und eine kostenlose Mahlzeit war ein Privileg. Da es in der Region nicht genügend Schulen gab, lag meine Schule fast drei Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Hügels. Ich musste jeden Tag den Berg hinaufsteigen, um zur Schule zu kommen. Meine Sandalen waren abgenutzt und oft ging ich barfuß zur Schule. Die ständige Ermutigung durch meine Mutter und der Wunsch, wenigstens etwas für meinen hungrigen Magen zu bekommen, waren meine Motivation. Jeder von uns trug fünf Liter Wasser oder ein Stück Brennholz bei sich, um zum Schulessen beizutragen.

Ich bin World Vision unglaublich dankbar, dass sie mir ein Sprungbrett in mein akademisches Leben ermöglicht haben.
Pauline, ehemaliges Patenkind in Kenia

Hindernisse beim Lernen

In jungen Jahren wurde bei mir Asthma diagnostiziert. Ich wurde von meinen Klassenkameradinnen und -kameraden und sogar von einigen meiner Nachbarinnen und Nachbarn verspottet und beleidigt, da die Krankheit als Fluch angesehen wurde. Meine Eltern konnten sich die erforderlichen Behandlungen und Medikamente nicht leisten, aber World Vision kam mir zu Hilfe und unterstützte meine medizinische Behandlung einige Jahre lang.

Dann verloren wir als Familie mit einem Schlag unser gesamtes Vieh, wodurch wir sehr arm wurden. Vorher wurden zu Beginn eines jeden Schuljahres Tiere geschlachtet, um das Schulgeld zu bezahlen. Für mich wurde es sehr unwahrscheinlich, nach der 8. Klasse eine weiterführende Schule besuchen und eine höhere Ausbildung absolvieren zu können. Mein älterer Bruder hatte mehr Glück, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits die weiterführende Schule abschloss. Aber mein zweiter Bruder, der für das Vieh verantwortlich war, hatte noch nie einen Fuß in ein Klassenzimmer gesetzt. Jetzt war er zu Hause und hatte nichts zu tun. Auch meinen jüngeren Geschwistern und mir ging es so. Wäre noch Geld übrig gewesen, bin ich mir sicher, dass es dafür verwendet worden wäre, dass mein älterer Bruder die Uni abschließen konnte. Vielleicht wurde er als Mann und Erstgeborener begünstigt.

Dies war eine Zäsur in meinem Bildungsweg. Ich war bereits sehr intelligent und fleißig, aber nach dem Verlust unserer Tiere stand ich kurz davor die Schule abzubrechen. Als die Ergebnisse der nationalen Prüfungen veröffentlicht wurden, gehörte ich zu den Besten und wurde in eine der besten Schulen des Landes, in Nakuru, aufgenommen. Leider war meine Freude darüber nur von kurzer Dauer, denn durch die finanziellen Engpässe blieb mir nur die Möglichkeit, die leistungsschwache Bezirksschule zu besuchen. Aber die Situation verschlimmerte sich, da meine Eltern das Schulgeld auch für diese Schule nicht aufbringen konnten. Fast hätte ich die Schule ganz abgebrochen.

Durch Freundschaft gestärkt

Ich war aber fest entschlossen, doch noch einen Weg zur weiterführenden Schule zu finden. Und tatsächlich konnte ich mir ein Stipendium sichern. In der weiterführenden Schule verfolgte ich nur zwei Ziele: gute Leistungen zu erbringen und die staatliche Zulassung zur Universität zu erhalten, damit meine Eltern nicht mehr mit den Schulgebühren kämpfen müssten.

So etwas wie Taschengeld kannte ich nicht. Wenn ich Glück hatte, konnte mir mein Vater 500 Ksh (das sind weniger als fünf Euro) für das ganze Schuljahr leihen. Was kann man schon mit 500 Ksh für eine Schülerin kaufen? Aber es ging irgendwie: Ich konnte zum Beispiel eine Tasse fermentierte Milch gegen eine Scheibe Brot, Obst oder irgendetwas anderes eintauschen, das meine Freundinnen und Freunde von ihren Eltern bekamen. Meine besten Freundinnen und Freunde schenkten mir einen Teil ihrer Einkäufe, da sie meine Situation verstanden. 

Ich würde den jungen Mädchen raten, niemals aufzugeben, ganz gleich, welche Herausforderungen sie zu bewältigen haben. Denn es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels.
Pauline, ehemaliges Patenkind in Kenia

Der Durst nach Studium

Mein Engagement zahlte sich aus, denn ich wurde erfolgreich zum Bachelorstudium an der Universität zugelassen. Als ich Turkana zum ersten Mal verließ und auf dem Weg zur Universität durch die größeren Städte Kenias wie Nakuru, Eldoret und Nairobi reiste, war das wunderschön. Im Rahmen der staatlichen Direktzulassung (finanziert durch ein Darlehen der kenianischen Regierung) konnte ich mein Ziel, einen Studiengang in Hydrologie und Wasserressourcenmanagement zu absolvieren, an der South Eastern Kenya University verwirklichen. Ich entschied mich für einen wasserbezogenen Studiengang, da mir die Wassersituation in meinem Dorf am Herzen lag – insbesondere die Frauen und Kinder, die am stärksten von der Krise betroffen sind. Ich wollte und will immer noch die Situation in Turkana verändern.

Da ich ein staatliches Darlehen erhielt, beschloss ich, meine jüngeren Geschwister mit dem, was nach dem Schulgeld übrigblieb, zu unterstützen. Das war nicht einfach, um ehrlich zu sein. Als mein jüngerer Bruder in die weiterführende Schule kam, reichte mein Unterhaltsgeld nicht mehr aus, um die Schulgebühren zu bezahlen. Deshalb musste ich mir ein zusätzliches Einkommen suchen. Also nutzte ich meine Fähigkeiten in der Perlenkunst. Ich fing an, Perlengürtel, Ohrringe, Perlenarmbänder, Halsketten und Haarflechten anzufertigen, und versuchte mich sogar als Model, um mehr Geld zu verdienen und meine Geschwister zu unterstützen. Ich habe viel unternommen, um meinen jüngeren Geschwistern das zu ersparen, was ich durchgemacht habe. Meine ständige Angst war, dass sie nicht so stark sein könnten wie ich, um für sich selbst zu sorgen. 
 

Studium mithilfe von Stipendien meistern

Nach meinem Bachelorabschluss bekam ich eine Praktikumsstelle. Während dieser Zeit brannte ich darauf, mein Studium durch einen Master-Abschluss zu erweitern. Ich bewarb mich bei sieben Universitäten auf der ganzen Welt für wasserbezogene Masterstudiengänge. Ich wollte mir ein fundiertes Fachwissen in den Bereichen Wasser und Umwelt aneignen, um meinem Land zu helfen. Turkana hat im Vergleich zu Israel, einer ähnlich trockenen Region mit faszinierenden innovativen Lösungen für Wasserprobleme, ein hervorragendes Potenzial, aber qualifizierte Fachleute und umfassende Technologien sind in der Branche immer noch rar. Zu meiner Überraschung wurde ich an vier Universitäten zugelassen. Ich war begeistert.

Die Finanzierung des Studiums war allerdings schwierig. Ich verbrachte lange Nächte in meinem Büro, um Bewerbungen für verschiedene Stipendien zu verschicken, und das zusätzlich zu meinem Praktikum. Von fast allen kamen Absagen zurück. Trotzdem habe ich mich nicht entmutigen lassen und mich weiter für Stipendien an den vier Universitäten beworben. Ich war fest entschlossen, eine Finanzierung für eine von ihnen zu bekommen.

Im April 2019 erhielt ich eine E-Mail mit guten Nachrichten. Ich bekam die Zusage für ein Teilstipendium. In derselben Woche erhielt ich zwei weitere Stipendien. Diese zwei Stipendien deckten meine Studiengebühren, während das Teilstipendium einen Zuschuss bot. Aber ich bräuchte mehr, um die Mindestanforderungen für das britische Visum und die Einwanderung zu erfüllen. Das war fast unmöglich. Ich gründete eine Spendensammelgruppe, in der Bekannte sowie Freundinnen und Freunde für mich spendeten. Auch die moralische Unterstützung meiner Eltern hielt mich aufrecht.

Während meines Masterstudiums arbeitete ich jedes Wochenende, um meine Geschwister und meine Familie zu unterstützen. Meine Freundinnen und Freunde sind immer überrascht, wenn ich sage, dass ich die Ernährerin meiner Familie bin. Ich trage die ganze Verantwortung für die Versorgung meiner Eltern, meines Bruders, der an Epilepsie leidet, meines jüngeren Bruders, der gerade einen Diplomstudiengang absolviert, und meiner beiden Schwestern. Das ist ein Teil meiner Motivation, denn ich möchte ihnen ein Vorbild sein und sie ermutigen, weiter hart zu arbeiten.

Währenddessen habe ich mich für vier verschiedene Promotionsstudiengänge beworben und drei Einladungen zu Vorstellungsgesprächen erhalten. Etwa zur gleichen Zeit schrieb ich meine Masterarbeit, und alles, was ich tun konnte, war, meine Zeit so einzuteilen, dass ich mich auf die Vorstellungsgespräche vorbereiten konnte. Alle meine Tage und Nächte waren belegt. Schließlich habe ich meinen Master in Umwelt- und Wassermanagement an der Cranfield University mit einer guten Note abgeschlossen. Als ich für ein Promotionsstudium angenommen wurde, war ich überglücklich.  

Pauline bei ihrem Praktikum

Bei ihrem Praktikum macht Pauline Freudensprünge – endlich kann sie ihrer Heimat bei den Wasserproblemen helfen.

Ehemaliges Patenkind Pauline ist Absolventin der Universität

Dank der Patenschaft und ihrer Unermüdlichkeit hat Pauline es geschafft: sie ist stolze Uni-Absolventin.

Pauline trägt traditionelle Turkana-Kleidung

Dennoch hat Pauline ihre Wurzeln nicht vergessen und trägt die traditionelle Turkana-Kleidung.

Eine strahlende Zukunft

Zurzeit arbeite ich an meinem Forschungsprogramm zur Überschwemmungs- und Erosionskontrolle in informellen Siedlungen mit Hilfe naturbasierter Lösungen an der Universität Coventry. Ich mache das aus Leidenschaft und danke Gott dafür.

Ich glaube, dass eine glänzende Zukunft vor uns liegt – nicht nur für mich, sondern auch für meine Heimatregion und mein Land. Ich träume davon, das Potenzial in Turkana auszuschöpfen, mit der Bezirksregierung von Turkana und Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten, die in der Region bereits großartige Arbeit leisten, um die Verfügbarkeit von Wasser zu verbessern und nachhaltige Lösungen für das Wasserproblem zu entwickeln.

Außerdem möchte ich alle Mädchen aus Nomadenfamilien inspirieren und motivieren, ihre Träume zu verfolgen. Der Kampf ist real. Hindernisse sind nicht von Dauer, aber wie man sie überwindet, hängt ganz von einem selbst ab. Deine Stärke liegt in dir selbst. Ich würde den jungen Mädchen raten, niemals aufzugeben, ganz gleich, welche Herausforderungen sie zu bewältigen haben. Denn es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels.

Ich bin World Vision unglaublich dankbar dafür, dass sie mir ein Sprungbrett in mein akademisches Leben ermöglicht haben. Ich bin stolz auf meine harte Arbeit, meine Unverwüstlichkeit, meine Neugier und meine Ausdauer. Trotz meiner Erziehung, der Herausforderungen und Hindernisse habe ich den Kopf nicht hängen lassen, mich den Herausforderungen gestellt und sie angenommen, weil ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehen werde.

Und an diejenigen, die privilegierter sind: Urteilen Sie nicht über andere, ohne unseren Hintergrund zu kennen. Wir sind unterschiedlich, wir haben unsere eigenen Geschichten von Glück und harter Arbeit, aber wir sind alle fähig, mehr zu erreichen.“

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