Rebound Wolfgang Niedecken

Wolfgang Niedecken im Interview

World Vision: Nachdem Rebound 2007 in Norduganda gestartet ist, engagieren Sie sich seit 2011 im Ostkongo, einem der gefährlichsten Länder der Welt. Wie kam es dazu?

Wolfgang Niedecken: Nach Norduganda bin ich in meiner Eigenschaft als „Gemeinsam für Afrika“-Botschafter geraten. Damals war der Bürgerkrieg noch voll zugange und somit habe ich das Elend dieser missbrauchten Kinder hautnah spüren können. Ich kann mich noch gut an das von World Vision betriebene Reception-Center in Gulu erinnern, wo ich die ersten ehemaligen Kindersoldaten kennenlernte, die mir dann auch so schnell nicht mehr aus dem Kopf gegangen sind. Deshalb haben wir dann auch endlich 2007 mit Rebound losgelegt, nachdem wir das dafür notwendige Geld aufgetrieben hatten.

Inzwischen ist der Bürgerkrieg in Norduganda beendet, aber da ich ja wusste, was im Ostkongo abgeht war es naheliegend, unsere Aktivitäten dorthin zu verlagern. Am liebsten würde ich mit Rebound überall hingehen, wo Kindersoldaten zwangsrekrutiert werden, aber dafür gibt es leider Gottes nun mal kein Budget. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Schritt nach dem anderen zu machen und uns dabei nicht zu verzetteln.

Ein paar Azubis haben Ihnen schon Produkte ihrer Arbeit geschenkt. Was hat Ihnen das bedeutet?

Ich weiß es wirklich zu schätzen, wenn mir unsere Kids Geschenke machen. Und da gibt es so einige Geschichten, beispielsweise die von einem Kerl mit dem Spitznamen „Zebra“, der mir vor Jahren ein kleines Bänkchen schenkte, welches meine Frau wunderbar in ihrem Yoga-Unterricht gebrauchen konnte. Bei einem meiner nächsten Besuche im Ostkongo habe ich mich nach Zebra erkundigt und erfahren, dass er mittlerweile seine eigene Werkstatt mit fünf (!) Angestellten in Beni eröffnet, eine Familie gegründet hatte und Vater geworden war. Um eine lange Story kurz zu machen: Wir sind hingefahren, und das Wiedersehen war sehr emotional. Überhaupt würde ich sehr gerne wissen, was aus unseren vielen Azubis geworden ist, beispielsweise aus unserer ersten weiblichen Automechanikerin, bei der ich wetten würde, dass auch sie inzwischen ihren eigenen Betrieb leitet.

Welches Schicksal eines ehemaligen Kindersoldaten hat Sie besonders getroffen?

Da habe ich unmittelbar das Bild eines Mädchens vor mir, dem man die Ohren und die Lippen abgeschnitten hatte, weil es schlecht über die Rebellen gesprochen hatte. Ich habe es damals in einer unserer Einrichtungen interviewt und weiß noch, dass ich die ganze Zeit mit den Tränen gekämpft habe.

Was wünschen Sie sich für die Kinder in den Rebound-Zentren?

Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, möglichst viele gut gerüstet in den afrikanischen Alltag zu entlassen und dass sie ihre Chance wahrnehmen. Aber vor allen Dingen wünsche ich mir natürlich Frieden in diesem geschundenen Land.

Das Thema Kindersoldaten ist bei uns in den Medien kaum präsent. Wie erklären Sie sich das?

Ich würde den Medien an dieser Stelle noch nicht mal einen Vorwurf machen, denn in erster Linie sind die Kollegen ja verpflichtet, uns über das aktuelle Zeitgeschehen zu informieren. Und je näher die Krisen der Welt Europa kommen, desto brisanter sind die Nachrichten für die sogenannte erste Welt. Der Kongo ist weit weg. Abgesehen davon ist das Thema Kindersoldaten bzw. zwangsprostituierte minderjährige Mädchen erfahrungsgemäß ein Wegzapp- und Weiterblätter-Thema. Da führt die Quote dann dazu, dass sowas nur auf Sendeplätzen stattfindet, wo alle, die morgens arbeiten müssen, längst im Bett liegen.

Mit BAP feierten Sie 2016 40-jähriges Jubiläum und gaben über 60 Konzerte. Wie schaffen Sie es, den musikalischen Erfolg mit Ihren ehrenamtlichen Aufgaben zu verbinden?

Ich schreibe Songs über die Themen, die mich tatsächlich beschäftigen. Es ist ein unglaubliches Privileg, dass ich mich nicht an den Bedürfnissen eines anonymen Publikums orientieren muss, was dann ja zwangsläufig auf Zielgruppen-Befriedigung hinauslaufen würde und alles Authentische aus meinen Liedern verschwinden müsste. Natürlich habe ich mir diese Position über vier Jahrzehnte erarbeitet und immer wieder verteidigt. Aber ich denke, die meisten Leute schätzen mich auch genau deswegen.

2011 hatten Sie einen Schlaganfall. Hat sich seitdem Ihr Blick auf das Leben verändert – und das, wofür Sie sich einsetzen?

Mein Blick auf das Leben hat sich nicht verändert, ich wurde nur unsanft daran erinnert, dass mir nicht mehr endlos viel Zeit zur Verfügung steht. Vorher ahnte ich das, jetzt weiß ich es. Die Konsequenz daraus ist, dass ich entschlossener geworden bin, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.