Ein langer Weg für die Kinder aus Mossul : „Es ist so wenig übrig“
In der irakischen Stadt Mossul wird jetzt nach und nach sichtbar, was die Herrschaft des sogenannten Islamischen Staates für die Bewohner bedeutet hat und welchen hohen Preis auch die Rückeroberung gefordert hat. Ian Dawes, Einsatzleiter für World Vision im Irak, hat die Stadt vor wenigen Tagen besucht, um Zugänge für humanitäre Hilfe ausfindig zu machen. Er berichtet: „Ich habe die Zerstörung mit eigenen Augen gesehen. Gebäude sind nur mehr Schutt und Asche, die Straßen verlassen. Es gibt kaum Strom oder fließendes Wasser, geschweige denn Schulen oder Krankenhäuser – es ist so wenig übrig,dass es sich so anfühlt, als müsse man wirklich ganz von vorne beginnen. Vermutlich werden wir nie gänzlich begreifen, was die Kinder der Stadt durchgemacht haben.“
Dawes hatte Bilder dramatischer Schlachten, lauter Gewehrsalven und aufsteigender Rauchwolken im Kopf, als er sich in den Straßen umsah. „Aber das Mossul, das sich diese Woche gesehen habe, war schaurig still und ich sah keinen Platz, wohin Kinder zurückkehren könnten, jedenfalls jetzt noch nicht.“
Ende der Offensive ist nicht das Ende der Krise
Die Sicht mancher Leute, dass mit dem Ende der Kämpfe auch das Ende einer Krise gekommen sei, kann der Einsatzleiter nicht teilen. „Eigentlich beginnt die Arbeit jetzt erst richtig“, sagt er. „Das Maß an Zerstörung ist auf allen Ebenen immens. Bevor die Menschen nach Hause zurückkehren können, müssen sowohl Häuser als auch die notwendigste Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung wieder aufgebaut werden. Es wird außerdem ein langer Weg der Versöhnung sein, um wieder in Frieden zusammenleben zu können.“
Abgesehen von der Gefahr durch noch nicht explodierte Landminen, die überall in der Stadt vergraben sein könnten, muss Mossul seiner Ansicht nach von Grund auf wieder aufgebaut werden. "Das Ende der Offensive bedeutet einen verbesserten humanitären Zugang. Für die meisten Familien kann diese Hilfe nicht schnell genug kommen. Ihre Situation ist mehr als kritisch."
„Nicht nur die Gebäude sind zerstört, auch das Leben der Kinder ist völlig durcheinander geraten“, erzählt Ian Dawes weiter. "Die Familien, die wir außerhalb von Mossul in Flüchtlingslagern betreuen, berichten uns davon. Sie haben sehr unter der dreijährigen IS-Herrschaft und den Kämpfen der letzten Monate gelitten. Die Familien, die sich in Sicherheit bringen konnten, erzählen die tragischsten Überlebensgeschichten, die ich je gehört habe. Kinder haben unter anderem zusehen müssen, wie Leute auf der Straße geköpft wurden.
„Manchmal bekommen wir einen Eindruck davon, was die Kinder durchgemacht haben. Unsere Teams aus ausgebildeten Sozialarbeitern helfen den Kindern das Erlebte zu verarbeiten. Ich vergesse nie den kleinen Jungen, der unaufhörlich vor und zurück schaukelte, dem die Tränen die Wangen herunter liefen dabei und der sich weigerte zu sprechen. ISIL-Kämpfer hatten ihm ein Bild der Leiche seines enthaupteten Vaters geschickt.“ Die Heilung der seelischen Wunden werde viel Zeit brauchen, sagt Ian Dawes voraus.
Funken der Hoffnung nähmen die Mitarbeiter von World Vision allerdings auch wahr. „Inmitten des Chaos sehnen sich die Kinder immer noch danach zur Schule zu gehen - mit voller Unterstützung der Eltern“, kann er berichten. „Wir arbeiten deshalb mit einer Partnerorganisation zusammen, um Schulen in Mossul wieder herzurichten, damit die Kinder so schnell wie möglich zurück in die Klassenräume kommen.“
World Vision unterstützt - auch außerhalb der Region um Mossul - geflüchtete Familien mit medizinischer Versorgung, der Bereitstellung von Trinkwasser und Hygiene sowie Kinderbetreuungs- und Bildungsprogrammen. Sie können als Kindheitsretter helfen.